Redebeitrag bei Ostermarsch in St. Wendel
Redetext von Karl-Heinz Peil – Friedens- und Zukunftswerkstatt e.V. in Frankfurt am Main, bei der Ostermarsch-Kundgebung in St. Wendel am 28. März 2024.
Liebe Freundinnen und Freunde,
wir müssen uns fragen: In welcher Welt leben wir eigentlich?
Am 9. Februar forderte der außenpolitische Obmann der Unionsfraktion im Bundestag, Roderich Kiesewetter:
„Der Krieg muss nach Russland getragen werden … Russische Militäreinrichtungen und Hauptquartiere müssen zerstört werden“.
Diese Sätze sind leider kein Ausrutscher, sondern nur vorläufiger Höhepunkt der Kriegshysterie, die auch in den Parteien der Regierungskoalition, vor allem bei den Grünen und der FDP vorhanden ist.
Diese Stimmungsmache begann am 27. Februar 2022 mit der von Olaf Scholz erfolgten Ankündigung eines 100 Mrd. Sonderpaketes für die Bundeswehr, das er als Zeitenwende deklarierte.
Eine tatsächliche Zeitenwende von einer langen Periode des Friedens im Sinne der Abwesenheit von Krieg in Europa fand aber bereits vor 25 Jahren statt. Am 24. März 1999 begann der völkerrechtswidrige Angriffskrieg gegen Serbien mit deutscher Beteiligung. Dass der Charakter dieses Krieges von der deutschen Politik bis heute geleugnet wird, ist ebenso ein Beispiel für Doppelmoral wie die westliche Beteiligung an nachfolgenden Kriegen und damit verbundenen Staatszerstörungen, wie z.B. im Irak, in Libyen oder Syrien.
Der Ukraine droht gleichfalls eine totale Zerstörung staatlicher Strukturen, was aber nicht nur auf russische Kriegshandlungen zurückzuführen ist, sondern ebenso durch Entvölkerung, Ausverkauf der Landflächen an US-Investoren, ökologischer Verwüstung der bisherigen „Kornkammer Europas“ und einer aussichtslosen Verschuldung. Jeder Tag der weiteren Fortsetzung des Krieges verschärft diese Probleme – und die deutsche Politik lehnt nach wie vor Diplomatie ab und setzt weiter auf Eskalation – ob mit oder ohne Taurus-Lieferungen.
Wie jeder Krieg ist auch der Ukrainekrieg ein Verbrechen an der Menschheit. Doch ein zielgerichteter Krieg gegen Zivilisten wurde von Russland bisher nicht geführt, während die Ukraine zunehmend zu Mitteln des Terrors gehen zivile, menschliche Ziele greift. Dieses war bereits in den separatistischen Donbass-Republiken im Zeitraum von 2014 bis 2022 mit mehr als 13.000 Toten der Fall. Doch letzteres war zu keinem Zeitpunkt ein Thema in unseren Leitmedien.
Eine ganz andere Dimension hat nunmehr der Gazakrieg Israels mit mittlerweile weit über 30.000 Toten und ein Mehrfaches an Verletzten, davon in der Mehrzahl Frauen und Kinder. Die deutsche Politik weigert sich immer noch, darin einen Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser zu sehen, ein Krieg, der mit den Mitteln von Bombardierungen, Zerstörung medizinischer Einrichtungen, Kappung von Wasser und Strom und letztlich einem Aushungern der Bevölkerung als wirksamste Waffe geführt wird.
Seit Beginn des Gazakrieges haben sich die deutschen Rüstungsexporte nach Israel verzehnfacht. Während die humanitäre Versorgung der Bevölkerung auf dem Landweg weitgehend unterbrochen ist, wird gleichzeitig die Bundeswehr-Luftwaffe eingesetzt, um Hilfsgüter aus Transportflugzeugen abzuwerfen.
Was ist das denn für eine perverse Logik? Und inwieweit verengt die deutsche Sicht der „Staatsräson“ mit Israel unseren Blick für die Wahrnehmung von Menschheitsverbrechen und der Empathie mit den Opfern. Empathie bedeutet vor allem, dass es keine Opfer erster, zweiter oder dritter Klasse im Kriegsgeschehen und bei Kriegsverbrechen geben darf.
Mehr als alle anderen bisherigen Kriege rüttelt diese Brutalität an den Grundfesten der menschlichen Zivilisation.
Ich möchte dazu auf eine Rede von der letztjährigen Ostermarsch-Kundgebung in Frankfurt verweisen. Dr. Boniface Mabanza Bambu arbeitet in Heidelberg bei der Kirchlichen Arbeitsstelle Südliches Afrika in der Werkstatt Ökonomie.
Er beschrieb, dass man im Globalen Süden eine ganz andere Sicht auf den Ukrainekrieg hat als bei uns in Deutschland, wo dieser Krieg als Störung eines bisher vermeintlich vorhandenen Normalzustandes gesehen wird. Er verwies darauf, dass wir uns in einer Zeit der systematischen Zerstörung planetarer Lebensgrundlagen befinden und dass es aus globaler Sicht auch vor diesem Krieg keine Normalität gab. Ich zitiere mal einige Sätze:
Es gibt keine Normalität in einer Welt voller Ungleichheiten zwischen den Ländern und innerhalb der Länder. …
Es gibt keine Normalität in einer Welt, in der für Waffen mehr ausgegeben wird als zur Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele der UN….
Es gibt keine Normalität in einer Welt, in der Dürren und Überschwemmungen tagtäglich Lebensgrundlagen zerstören ….
Jeder Krieg …. verschiebt auch die Wahrnehmung und Prioritäten. …. In den letzten Jahren gab es viele andere Kriege …. Einige dieser Kriege haben fast genau die gleichen Erklärungsmuster wie die russische Aggression gegen den ukrainischen Nachbarn“
Soweit einige zentrale Sätze aus dieser Rede, die aufzeigen, dass man im Globalen Süden eine ganz andere Sicht auf den Ukrainekrieg hat als bei uns. Wir leben hier in einer eurozentristischen Blase, weil im Globalen Süden eine völlig andere Wahrnehmung besteht und damit auch eine entschiedene Verurteilung westlicher Doppelmoral und Doppelstandards.
Dieses hat sich durch den Gazakrieg noch drastisch verstärkt. Die zumindest bis vor kurzem noch vorhandene einseitige Parteinahme für den Völkermord an den Palästinensern im Gazastreifen hat zu einer weiteren Entfremdung des Globalen Südens von Europa und insbesondere Deutschland geführt. Denn die Proteste von Palästinensern in Deutschland wurden und werden als antisemitisch deklariert und entsprechend marginalisiert – ganz im Unterschied zu anderen, auch westlichen Ländern mit Massendemonstrationen gegen Israels Kriegspolitik im Gazastreifen.
Was folgt daraus für uns als Friedensbewegung – welche Herausforderungen und Chancen sollten wir sehen? Ich fasse das in folgenden Punkten zusammen:
Erstens: Wir müssen aufklären gegen mediale Einseitigkeit, heraus aus der Meinungsblase der deutschen Politik und für eine Wahrnehmung der globalen Zeitenwende. Die Emanzipation des Globalen Südens schreitet rasant voran und sollte von uns auch als Teil einer weltweiten Friedensbewegung gesehen werden, mit der die NATO-Kriegstreiber zunehmend in die Defensive getrieben werden.
Trotz des medialen Trommelfeuers speziell für Taurus-Lieferungen an die Ukraine: Die Mehrheit der Bevölkerung ist dennoch für Diplomatie statt Eskalation.
Das heißt: Wir müssen der galoppierenden Kriegshysterie die globale Zeitenwende zu Multilateralismus mit vorhandenen Konzepten umfassender Kooperation und gemeinsamer Sicherheit gegenüber stellen.
Zweitens: Eine starke Friedensbewegung in unserem Land kann es nur mit viel Engagement aus gewerkschaftlichen Untergliederungen geben. Wir müssen immer noch dafür kämpfen, dass die Zusammenhänge zwischen Aufrüstung und Sozialabbau wahrgenommen werden. Zumindest große Teile der ver.di-Mitglieder erleben durch ihre Tätigkeit in sozialen Berufen diesen Zusammenhang aber hautnah.
Es gibt sogar Parallelen zu dem Teil der deutschen Geschichte, von dem man sich offiziell zumindest eindeutig distanziert. 1936 prägte der Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß die Parole: „Kanonen statt Butter“. Vor einigen Wochen nun erregte eine Äußerung von Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, für Aufsehen. Zitat:
»Kanonen und Butter – das wäre schön, wenn das ginge. Aber das ist Schlaraffenland. Das geht nicht. Sondern Kanonen ohne Butter«
Deshalb: Wir müssen mit aktiven Gewerkschaftern für den Erhalt der öffentlichen Daseinsvorsorge ebenso kämpfen wie für einen ökologischen Umbau der Industrie. Und das geht nur mit Abrüsten statt Aufrüsten.
Drittens: Wir müssen als Friedensbewegung an möglichst vielen Orten und zu möglichst vielen Anlässen präsent sein. Die Westpfalz und das Saarland sind permanent auch Bestandteil der größten Kampfjet-Übungszone Deutschlands und der dadurch verursachten gesundheitsschädlichen Verlärmung ausgesetzt. Noch gravierender sind die Gesundheitsbelastungen durch Schadstoffe in Luft und Boden rund um die Air Base Ramstein. Diese dient als logistische Drehscheibe für Kriegsmaterial nach Osteuropa, technisches Zentrum für illegale US-Drohnenkriege weltweit, Luftwaffen-Kommandozentrale und als regelmäßiger Ort des Ukraine-NATO-Kriegsrates.
Die bundesweite Kampagne Stopp Air Base Ramstein ist seit 2015 kontinuierlich aktiv mit jährlichen Aktionswochen, beinhaltend auch in diesem Jahr wieder vom 16. bis 23. Juni das Friedenscamp mit vielen politischen und kulturellen Beiträgen und nicht zuletzt auch sozialen Verbindungen, das immer wieder neue Mitstreiter anzieht. Unsere große Demo und Kundgebung findet in diesem Jahr am 22. Juni erstmals nicht vor der Air Base selbst, sondern in Kaiserslautern statt.
Als Aktivist dieser Kampagne sage ich dazu: Wir wollen damit vor allem mehr Menschen in Kaiserslautern, aber auch aus der Westpfalz und dem Saarland erreichen, indem wir dort demonstrieren, wo unsere Präsenz wesentlich stärker wahrgenommen werden kann.
Ich komme damit zum Schluss: „Zeitenwende“ ist immer noch seit dem 27. Februar 2022 das geflügelte Wort der Kriegstreiber in Deutschland. Es liegt aber an uns, dieses Wort vor dem Hintergrund globaler Entwicklungen in unserem Sinne für eine optimistische Perspektive zu definieren, als Zeitenwende vom Krieg zum Frieden.
Vielen Dank!